Aufsichtspflicht und Aufsichtsführung

Nachfolgende Informationen zur Aufsichtspflicht und Aufsichtsführung sind Grundlage professionellen Handelns für pädagogische Fachkräfte und sollen ein Stück Sicherheit zu diesem Thema vermitteln.

Bei gewissenhafter und nachweislicher Beachtung und Umsetzung dieser Regelungen kann Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit des Personals im Schadensfall (Schaden des Kindes oder durch das Kind verursachter Schaden) ausgeschlossen werden.

Es wird empfohlen, dieses Thema zu Beginn jeden Arbeitsjahres mit dem gesamten Team der KBBE zu bearbeiten, damit alle handelnden Personen über ihre Verpflichtungen und die rechtlichen Rahmenbedingungen ihres Handelns Bescheid wissen.

Rechtliche Grundlagen

Nach § 137 und § 139 Abs. 1 ABGB haben die Eltern für die Erziehung ihrer minderjährigen Kinder zu sorgen und ihr Wohl zu fördern. Aufsicht ist Teil der Obsorge über ein Kind. Dritte dürfen in die elterlichen Rechte nur insoweit eingreifen, als ihnen dies

- durch die Eltern selbst (z.B. durch Übergabe in fremde Pflege, in eine Kinderbildungs- und -betreuungseinrichtung, in ein Internat, zu einer Tagesmutter bzw. einem Tagesvater) im Rahmen einer privatrechtlichen Vereinbarung
- unmittelbar aufgrund des Gesetzes (z.B. Schulgesetze) oder
- durch eine behördliche Verfügung (z.B. pflegschaftsgerichtliche oder jugendwohlfahrtsbehördliche Maßnahmen)

gestattet ist.

Mit der Anmeldung zum Besuch einer Kinderbildungs- und -betreuungseinrichtung übertragen die Eltern für die Zeit, die das Kind in der Kinderbildungs- und -betreuungseinrichtung verbringt, die Aufsichtspflicht an die jeweilige Einrichtung (privatrechtliche Vereinbarung).

Als Vertragspartner der Eltern trägt der Rechtsträger die Verantwortung für die Aufsichtsführung, und gibt diese Verantwortung an das Personal der Kinderbildungs- und -betreuungseinrichtung weiter. Wer für die Aufsichtsführung im konkreten Einzelfall zuständig ist, ergibt sich aus der internen Organisationsstruktur (z.B. Gartenaufenthalt, Mittagssituation, Ausflug etc.).

Nach § 14 Abs. 1 Oö. KBBG tritt die Pflicht zur Beaufsichtigung neben die Pflicht zur Bildung, Erziehung, Betreuung und Pflege der Kinder. Die Aufsichtspflicht soll daher die Sicherheit der Kinder gewährleisten, ohne die Erziehung zur altersgemäßen Selbstständigkeit zu vernachlässigen.

Zweck der Aufsicht ist einerseits der Schutz des Aufsichtsbedürftigen vor Schäden am eigenen Körper oder Vermögen und andererseits der Schutz anderer Personen vor einer Schädigung durch den Aufsichtsbedürftigen.

Aufsichtspflicht und Mindestpersonaleinsatz

Nach § 11 Abs. 1 Oö. KBBG hat der Rechtsträger den Personaleinsatz anhand verschiedener Kriterien wie z.B. Öffnungszeiten, Kindesalter, Gruppengröße, etc. zu bestimmen. Der Mindestpersonaleinsatz nach § 11 Abs. 3 regelt, welches Personal der Rechtsträger mindestens je Gruppe vorzusehen hat. Durch die Einhaltung dieses Mindestpersonaleinsatzes sichert sich der Rechtsträger rechtlich ab, sollte es zu unvorhergesehenen Zwischenfällen oder Unfällen in seiner Einrichtung kommen. Wird der Mindestpersonaleinsatz nicht eingehalten, so hat der Rechtsträger seine Aufsichtspflicht verletzt und trägt die Verantwortung für entstandene Schäden.

Inhalt der Aufsicht

Welchen Inhalt die Aufsichtspflicht in Kinderbildungs- und -betreuungseinrichtungen hat, lässt sich aus dem Oö. KBBG nicht ablesen. Die Maßstäbe für die Erfüllung der Aufsichtspflicht werden durch die Judikatur der Gerichte bestimmt:

Nach der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes (OGH) ist Maßstab unter anderem das, was angesichts des Alters, der Eigenschaften und der Entwicklung des Kindes vernünftigerweise verlangt werden kann. Das Maß der erforderlichen Aufsicht ist auch von der Gefährlichkeit der jeweiligen Situation abhängig; je wahrscheinlicher eine Gefährdung ist, desto umfassender sind die Aufsichtspflichten (z.B. Ausgänge).

In Kinderbildungs- und -betreuungseinrichtungen ist jedes Kind seinem Entwicklungsstand entsprechend, unter Berücksichtigung allgemein anerkannter Grundsätze der Bildung, Erziehung, Betreuung und Pflege sowie der Erkenntnisse der einschlägigen Wissenschaften, zu fördern, die Selbstkompetenz der Kinder zu stärken und zur Entwicklung ihrer Sozial- und Sachkompetenz beizutragen. Bei der Erfüllung dieser Aufgaben ist darauf Bedacht zu nehmen, dass alle Bildungsangebote altersgemäßen Lernformen entsprechen und die Sozialisation der Kinder in einer Gruppe sichergestellt ist.

Daraus folgt, dass pädagogische Fachkräfte einen weiten Spielraum haben (müssen), der es im Einzelfall auch zulässt, pädagogische Gesichtspunkte und Sicherheitsaspekte gegeneinander abzuwägen. Kinder und Jugendliche können nur dann lernen, Risiken und Gefahren zu bewältigen, wenn sie auch gelernt haben, mit diesen umzugehen.

Kriterien der Aufsichtsführung

- Faktoren in der Person des Kindes: Alter, Eigenart, Charakter, Verhaltensauffälligkeiten, Krankheiten, Beeinträchtigungen, „Tagesverfassung“, körperlicher, seelischer und sozialer Entwicklungsstand
Diese Faktoren sind auch bei der Zumutbarkeit gewisser körperlicher Beanspruchungen des Kindes zu bedenken.

- Gruppenverhalten des Kindes: Gruppengröße, gruppendynamische Gesetzmäßigkeiten, etc.

- Gefährlichkeit der Beschäftigung: Wahl der Turngeräte und Spiele, Arbeitsgeräte in der Holzwerkstatt, Altersfreigaben bei Spielzeugen, etc.

- Örtliche Umgebung: Aufenthalt in geschlossenen Räumen, auf dem Spielplatz, im Straßenverkehr, etc.

- Persönliches Verhältnis zwischen der pädagogischen Fachkraft bzw. sonstigen Aufsichtsperson und dem Kind: wie lange kennt die Person das Kind schon, wie häufig arbeitet diese Person mit dem Kind (fix in der Gruppe oder Vertretung)

- Erfahrung der pädagogischen Fachkraft bzw. sonstigen Aufsichtsperson: Berufserfahrung, Zuverlässigkeit

- Beachtung einschlägiger Rechtsvorschriften: z.B. Straßenverkehrsordnung

Anforderungen an die Aufsichtsführung

Folgende Pflichten bzw. Anforderungen lassen sich aus den Gerichtsurteilen des OGH ableiten:
 

a) Erkundigungs- bzw. Informationspflicht

Vor der Aufnahme eines Kindes besteht eine Erkundigungspflicht über das Kind: z.B. bzgl. Krankheiten, Allergien, notwendige Medikamente etc.

Jederzeit besteht eine Erkundigungspflicht über äußere Umstände: z.B. vorhandene Spielgeräte und deren Gefahren, Situierung von Notausgängen, Feuerlöschern, Erste-Hilfe-Kasten etc.
 

b) Warn- bzw. Anleitungspflicht

Die Kinder sind vor möglichen Gefahren in einer altersadäquaten Art und Weise zu warnen, und dabei zu einem richtigen Verhalten anzuleiten (z.B: „Es ist heute eisig im Garten. Der Boden der Rollerbahn ist deshalb ganz rutschig. Bitte geht dort langsam, nicht laufen!“)

Dabei berücksichtigen:

- Sprachbarrieren

- Planung der Aktivitäten, sodass diese sich in den Tagesablauf der Kinder gut einpassen – insb. hinsichtlich der Konzentrationsfähigkeit
 

c) Kontroll- und Überwachungspflicht

Im Rahmen der Kontroll- und Überwachungspflicht muss sich das Personal vergewissern, ob das Kind

- die Erklärung verstanden hat,

- die Hinweise beachtet und

- die Verbote befolgt.

Die Intensität der Überwachung ist abhängig von Situation, Alter, Entwicklungsstand (und darüber hinaus eine pädagogische Frage):

 - Kind im Krabbelstubenalter: durchgehende Beaufsichtigung

 - Kind im Kindergarten/Hort: grundsätzlich Hör- oder Sichtkontakt ausreichend, stichprobenartige Kontrolle

- Gefährliche Aktivität, z.B. Bastelaktivitäten mit neuen und/oder gefährlicheren Geräten: jedenfalls in „Griffweite“

- Eingriff durch Zuruf muss jederzeit möglich sein
 

d) Pflicht zum Eingreifen

Zur Schadensverhinderung ist die am wenigsten intensive, jedenfalls noch effektive, aber nicht über das Ziel hinausschießende Methode zu wählen. In Frage kommen insbesondere verbale Ermahnungen, oder Herausnahme eines Kindes aus einer gefährlichen Aktivität bzw. eine Abnahme eines gefährlichen Gegenstandes, notfalls auch ein Abbruch einer Aktivität für die gesamte Gruppe.

Es ist darauf zu achten, dass dieses Eingreifen in einer pädagogisch vertretbaren Art und Weise geschieht – kein Herabwürdigen, keinerlei verbale oder nonverbale Gewalt, und insbesondere auch keine Strafen. Während eine Herausnahme eines Kindes aus einer Aktivität angezeigt sein kann, ist dies nicht gleichzusetzen mit Maßnahmen der schwarzen Pädagogik wie Sitzstrafen, strafweiser Verbleib im Büro der Leitung, Schicken auf die stille Treppe, etc. Derartige Maßnahmen verletzen die Würde der Kinder und sind somit jedenfalls nicht rechtlich gutgeheißen oder gar gefordert.

Beginn und Ende der Aufsichtspflicht

Krabbelstube/Kindergarten:

Beginn: Übernahme des Kindes

Ende: Übergabe des Kindes an die Eltern bzw. berechtigte Personen Es muss klar sein, wer befugt ist, das Kind zur Beaufsichtigung zu übernehmen! Eltern müssen Abholpersonen daher namhaft machen.

Hort:

Beginn: Einlass des Kindes in den Hort bzw. seine eigenständige „Anmeldung“ beim Personal, z.B. mit einem „Hallo, ich bin jetzt da!“

Ende: Verlassen des Hortes

Außerhalb der Liegenschaft der Kinderbildungs- und -betreuungseinrichtung besteht eine Aufsichtspflicht nur während der Teilnahme an Veranstaltungen im Rahmen des Besuchs der Kinderbildungs- und -betreuungseinrichtung, wie z.B. bei Spaziergängen, Ausflügen, Exkursionen. Es ist klar zu definieren und zu kommunizieren, wie die Aufsichtsführung abzulaufen hat!

Aufsichtspflicht im Hort

Wegen der größeren Selbstständigkeit der Hortkinder ist für deren Beaufsichtigung ein anderer Maßstab als für Kindergartenkinder anzulegen. Mit den Eltern kann auch vereinbart werden, dass das Kind den Hort, z.B. zum Besuch einer Musikschule oder eines Sporttrainings während der regulären Besuchszeiten verlassen darf, oder es zu genau festgelegten Zeiten alleine nach Hause gehen darf.

Kindergartentransport

Der Kindergartentransport gilt als eigenständiges Service-Angebot von Gemeinden und zählt nicht zum Betrieb einer Kinderbildungs- und -betreuungseinrichtung. Der Mindestpersonaleinsatz in der Einrichtung darf durch das Mitfahren von Personal beim Transport zu keiner Zeit gefährdet sein. Nicht zulässig ist damit insbesondere das Einteilen einer pädagogischen Assistenzkraft, wenn dadurch die Fachkraft mit mehr als 12 (Kindergarten) bzw. mehr als 5 (Krabbelstube) Kindern alleine in der Gruppe verbleibt. Ebenfalls dürfen für den Einsatz in einer Kinderbildungs- und -betreuungseinrichtung zugeteilte Zivildienstleistende nicht für den Bustransport eingesetzt werden.

Bei der Beförderung der Kindergartenkinder im Rahmen des organisierten Kindergartentransportes ist das Kind an die Begleitperson im Beförderungsmittel zu übergeben und von den Halte-(Sammel)stellen zum vereinbarten Zeitpunkt abzuholen bzw. abholen zu lassen.

Die Begleitpersonen haben den Kindern beim Ein- und Aussteigen behilflich zu sein und für das sichere Öffnen und Schließen der Tür zu sorgen, sofern dies nicht der Fahrzeuglenker besorgt. Nötigenfalls müssen sie die Kinder auch durch erzieherische Maßnahmen zu verkehrsgerechtem Verhalten anleiten (z.B. beim Überqueren der Straße, an Haltestellen, im Bus, beim Abholen der Kinder vom Kindergarten, etc.).

Die Begleitperson muss das Kind den Eltern bei der Halte-(Sammel)stelle übergeben, sofern sie es nicht einer anderen von den Eltern (Erziehungsberechtigten) beauftragten und geeigneten Person für den weiteren Nachhauseweg anvertrauen kann. Ist dies nicht möglich, ist das Kind wieder mit in den Kindergarten zu nehmen.

Nicht rechtzeitige oder nicht erfolgte Abholung

Wenn ein Kind nicht rechtzeitig abgeholt wird, die abholende Person nicht zur Abholung berechtigt oder nicht zur Übernahme der Aufsicht geeignet ist, kann sich die Aufsichtspflicht über ein Kind über die festgesetzte Besuchszeit und damit über die Dienstzeit des Kindergarten-/Hortpersonals hinaus erstrecken. Die konkrete Vorgangsweise für diesen Fall ist in Absprache mit dem Rechtsträger festzulegen. Kann auch nach längerer Zeit kein Elternteil erreicht werden, ist die Polizei zu verständigen. Eigenmächtige Autofahrten mit Privat-PKWs sind zu unterlassen, da sich daraus zahlreiche ungeklärte Haftungsfragen ergeben können.

Ein Kindergartenkind darf keinesfalls sich selbst überlassen werden! Auch Hortkinder dürfen nur unter den zuvor mit den Eltern vereinbarten Umständen (Wochentag, Uhrzeit) den Heimweg alleine antreten, und keinesfalls nach Hause geschickt werden, wenn eine Abholung durch Erwachsene vereinbart wurde.

Empfehlungen an Leiter/innen von KBBE

Zu Beginn des Arbeitsjahres: 

- Bearbeitung des Themas "Aufsicht" mit dem gesamten Team

- Festlegung der Verantwortlichkeiten, insb. für geplante Veranstaltungen und Ausflüge

- Getroffene Vereinbarungen und Anweisungen schriftlich festhalten und vom gesamten Team unterschreiben lassen
 

Im laufenden Arbeitsjahr: 

- Fokus auf die Einhaltung und Umsetzung dieser Vereinbarung legen (wohlwollend und konsequent)